Fachinformationen - Prävention: Sexualität, 1999


Jugend und sexuelle Gesundheit

Helmut Jäger, Gesundheitswesen (Thieme) 1999 (61): 540-543

Zusammenfassung: Sexuelle Gesundheit ist ein wesentlicher Teilbereich allgemeinen psychischen, sozialen und kulturellen Wohlbefindens von Jugendlichen. Nachhaltige Jugendarbeit, und damit auch die Sicherung sexueller Gesundheit, muß eingebettet werden in Programme zur Förderung des Selbstvertrauens, des Selbsthilfepotentials und der integrierten Kommunalentwicklung. Im Gesundheitswesen können Gesundheitsprobleme, wie sexuelle Risiken, in ihrem sozialen Zusammenhang zwar erkannt, aber in der Regel nicht gelöst werden. Andererseits bietet das Gesundheitswesen einen besonders guten Zugang zu Jugendlichen, deren Beeinflussung erhebliche positive Auswirkungen auf das Gesamtsystem des Gemeinwesens haben kann. Präventionsprogramme zu spezifischen Erregern (HIV oder anderen sexuell übertragbare Erkrankungen) oder zu ungewollten Schwangerschaften im Teenageralter sprechen häufig die eigentlichen sozialen, kulturellen und persönlichen Gründe dieser Probleme nicht an und wirken nicht auf ihre Lösung. Es ist daher erforderlich, sich der umfassenden, sexuellen Gesundheit von Jugendlichen und ihren tatsächlichen Bedürfnissen und Fragen zuzuwenden. Jugendliche werden einerseits in allen Medien mit Sexualität konfrontiert, haben aber oft wenig oder keine Gelegenheit, sich mit ihren sehr persönlichen Fragen, unterdrückten Ängsten, Unsicherheiten mit qualifizierten Personen offen zu besprechen. Jugendlichen fehlt eine für sie interessante und ansprechende Wegberatung in einem gesundheitlichen und sozialen Netzwerk und eine professionelle, unparteiische Mittlerfunktion, die ihnen „Für und Wider" von Gesundheitsmaßnahmen erklärt und auf ihre konkreten Fragen eingeht.

Adolescence and Sexual Health: Sexual health is a substantial part of the general social, cultural and personal well-being of adolescents. Sustainable sexual education is only likely if the general self-confidence and competence of adolescents are strengthened and if programmes are integrated into the sociocultural context of communal development. Health professionals may diagnose existing problems but they are seldom competent in resolving the underlying social dilemmas. Nevertheless, the health System offers a unique opportunity of addressing adolescents and influencing their behaviour patterns. The risk approach in the prevention of sexually transmitted infections and unwanted pregnancies often ignores the pressing personal fears, anxieties and problems seen by the adolescents themselves. An integrated approach to Sexual Health should consider the views of adolescents äs a priority and offer opportunities to address personal questions, worries and anxieties. Rather than medical experts, adolescents need mediators and Professional guides to find their own way through the social and health network. They need to consult persons who can respond to their intimate concerns and give independent evidence-based information on health procedures and prevention.

Jugend und sexuelle Gesundheit

Das Jugendalter ist von entscheidender Bedeutung für Gesundheitsförderung, da sich in diesem Zeitraum Verhaltensmuster herausbilden, die das Eingehen künftiger Gesundheitsrisiken beeinflussen. Zu selten setzt sich das Gesundheitswesen für die Förderung einer gesunden Lebensführung bei Jugendlichen ein, da es zumeist eher auf die Bereitstellung von Dienstleistungen im Heilbereich oder auf medizinische Vorbeugung orientiert ist. Einrichtungen des Gesundheitswesens sind selten auf Jugendliche ausgerichtet (Selby M., 1999). Jugendliche nehmen die Leistungen des Gesundheitswesens nur sporadisch in Anspruch. Sie bilden den gesündesten Teil der Bevölkerung und sind nicht der Ansicht, daß das Gesundheitswesen ihnen viel zu bieten hätte.

Die gesundheitlichen Bedürfnisse der Jugendlichen werden oft vergessen. Die Planer im Gesundheitswesen sind hauptsächlich auf die Heilbehandlung von Krankheiten und die gesundheitliche Betreuung ausgerichtet und messen der Förderung einer gesunden Lebensführung der Jugendlichen keine vorrangige Bedeutung bei (Hoeppner-Stamos, 1997). Bildungsexperten mögen die Bedeutung zutreffender Informationen über die menschliche Fortpflanzung erkennen, sie haben jedoch nichts mit der Schaffung von Beratungsstellen, Hilfsdiensten etc. zu tun.

Ein Aspekt ist für die Jugendgesundheit von besonderer Bedeutung:

Wer als Jugendlicher in einer sozial benachteiligten Umgebung aufwächst oder sich in einer im Vergleich zu Gleichaltrigen sehr schwachen Position befindet, hat ein erhöhtes Krankheitsrisiko (Altgeld T.. 1998, Hurrelmann K.. 1997, Mk-KeeM., 1999).

Die Qualität der allgemeinen Gesundheitsversorgung ist bei einigen sozial benachteiligten Gruppen mangelhaft bis schlecht, besonders bei ausländischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern, wenn ihr Aufenthaltsstatus ungeklärt ist. Jugendliche aus diesen Gruppen sind höheren psychischen und körperlichen Gesundheitsrisiken ausgesetzt.

„Gesundheit" zu fördern ist eine politisch-umfassende Aufgabe, die konsequenterweise bei der Beratung von Entscheidungsträgern angesiedelt sein sollte. Das soziale, körperliche und geistige Wohlbefinden von Kindern und Jugendlichen im Zusammenhang mit sozialer Benachteiligung ist ein sektorübergreifendes Oberziel. Zur Lösung der gesellschaftlichen Probleme, die Krankheit auslösen, trägt ein Programm des Gesundheitssektors, wenn überhaupt, nur durch Konzeptvorschläge bei. Die direkten Auswirkungen anderer Bereiche (z. B. Armutsbekämpfung, Grundbildung, Stärkung der Frauen- und Mädchenposition, Förderung ökonomischer und beruflicher Entwicklungsmöglichkeiten, Schaffung von Rechtssicherheit bei Ausländern) auf den Gesundheitszustand der Jugendlichen sind wesentlich größer. Gerade im Zusammenhang mit Jugendarbeit haben die Stärkung des allgemeinen Selbsthilfepotentials und eine integrierte (alle Sektoren betreffende) Kommunalentwicklung die nachhaltigsten positiven Auswirkungen. Fachleute der Gesundheitsversorgung können dagegen Gesundheitsprobleme im sozialen Zusammenhang zwar erkennen, aber in der Regel nicht lösen. Andererseits bietet das Gesundheitswesen einen besonders guten Zugang zu der Prioritäten Zielgruppe „Jugendliche", deren Beeinflussung erhebliche positive Auswirkungen auf das Gesamtsystem des Gemeinwesens haben kann. Hier liegt das wesentliche Argument für die spezifische Herangehensweise verbesserter Angebote des Gesundheitswesens, die eine Schrittmacherfunktion übernehmen könnten (ohne die wesentlichen Probleme selbst lösen zu können oder zu wollen).

Oft ist der Kampf gegen Infektionen (HIV oder andere sexuell übertragbare Erkrankungen)*, gegen ungewollte Schwangerschaften im Teenageralter, gegen häufigen Partnerwechsel, gegen Jugendprostitution, sowie gegen Alkohol- und Drogenmißbrauch die Hauptsorge von Erwachsenen. Soziale Gründe dieser Probleme werden oft weder angesprochen noch in Angriff genommen. Das Auftreten der Anfang der achtziger Jahre noch neuen, lebensbedrohlichen Erkrankung HIV/AIDS erforderte ein schnelles unkonventionelles Vorgehen, parallel zu existierenden Gesundheitsstrukturen und eingefahrenen Wegen der Krankheitsbekämpfung. Diese Akutphase einer spezifischen Gesundheitsförderung hat sich im Falle von AIDS durch zahlreiche innovative Ansätze auch auf andere Präventionsbereiche sehr positiv ausgewirkt. Wenn die wesentlichen Erfahrungen im Umgang mit einem neuen Krankheitsphänomen gewonnen sind, ist es jedoch an der Zeit, über die Integration in übergreifende Präventions- oder Betreuungskonzepte nachzudenken. Unterschiedliche Konzepte für die Bekämpfung unterschiedlicher Krankheitserreger sind dann nicht mehr erforderlich. Wichtiger werden dagegen Überlegungen, wie eine Risikominderung des Verhaltens bei allen Jugendlichen nachhaltig erreicht und gesichert werden und wie die überwiegend soziale Gesundheitsgefährdung spezieller Zielgruppen, die bisher im wesentlichen aus dem Blickwinkel des Übertragungsrisikos eines oder einiger weniger Infektionserreger gesehen wurden, in all ihren Aspekten positiv beeinflußt werden kann.

Es ist daher erforderlich, sich der umfassenden, sexuellen Gesundheit von Jugendlichen und ihren tatsächlichen Bedürfnissen und Fragen zuzuwenden. Für die Jugendlichen stehen u.a. Beziehungsprobleme, Angst und Druck bei medial vorgeführter, sexueller Leistungsethik und Unsicherheiten bei der Findung der eigenen Rollenidentität deutlich im Vordergrund (AmendtG., 1998; ButcherJ. 1999; Bell R., 1999).

Jugendliche leben in verschiedenen gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und kulturellen Zusammenhängen. Es versteht sich von selbst, daß ein flexibles Herangehen erforderlich ist, und daß alle Programme und Aktivitäten kulturell und sozial akzeptabel sein und auf einer Situationsanalyse und einer Bedarfsermittlung im konkreten Kontext basieren müssen.

Jugendliche beziehen ihre Informationen über Sex von vielen Seiten; u.v.a. von Eltern, Geschwistern, Gleichaltrigen, aus Rundfunk, Fernsehen, Druckmedien, und der Beobachtung anderer. Es besteht bei ihnen eher eine Informationsüberflutung als ein Informationsmangel. Allerdings sind diese Informationen oft unvollständig, irreführend oder sogar falsch. Der Markt sowohl an Anbietern von Krankheitsbehandlung als auch von Gesundheitsförderung ist für sie unüberschaubar groß. Sie sind an jedem Kiosk und in jedem Medium einer Informationsüberschwemmung ausgeliefert. Es werden im deutschsprachigen Raum hunderte, weltweit mehrere tausend, Internet-Dienste für Jugendliche angeboten, die sich meist auch auf Sexualität beziehen; aber viele der in ihnen enthaltenen Informationen führen in die Irre. Bei einem Überangebot von Daten wird es immer schwerer, eine „Zusammenschau" zu gewährleisten. Die mediale Informationsflut gleicht dem Rauschen einer Straßenkreuzung, in dem sich einzelne Signale verwischen. Trotz großer Informationsverfügbarkeit scheint die Genauigkeit der Urteile abzunehmen, weil die Verhaltensbotschaften, die Jugendliche aus ihrem gesellschaftlichen Umfeld erreichen, sehr widersprüchlich sind. Nach einer Studie der BZgA (BZgA, 1999) bestanden zum Zeitpunkt eigener sexueller Erfahrung bei 16% der Mädchen und 18% der Jungen subjektiv Wissensdefizite zum Thema Verhütung. Der erste Geschlechtsverkehr ist danach für die überwiegende Mehrheit der Jugendlichen eine ungeplante Situation. 16% der Jungen und 11% der Mädchen trafen bei ihrem „ersten Mal" keine Vorsorge; häufig werde an Verhütung gedacht, es habe jedoch kein Mittel zur Verfügung gestanden.

Während Jugendliche in allen Medien mit Sexualität konfrontiert werden, haben sie oft wenig oder keine Gelegenheit, sich mit ihren sehr persönlichen Fragen, unterdrückten Ängsten, Unsicherheiten mit qualifizierten Personen offen zu besprechen. Jugendlichen fehlt eine für sie interessante und ansprechende Wegberatung im Gesundheitswesen und eine professionelle, unparteiische Mittlerfunktion, die ihnen Für und Wider von Gesundheitsmaßnahmen erklärt und auf ihre konkreten Fragen eingeht. Unerfahrene Konsumentinnen und Konsumenten medizinischer Dienstleistungen benötigen eine gezielte Unterstützung bei der Entwicklung von Informationsfiltern und der Konzentration auf das Wesentliche, um qualifizierte Entscheidungen treffen zu können (z.B. „Pille ja oder nein?"). Jugendliche sollten deshalb unterstützt werden, sich aus den vielfältigen Angeboten der Krankheitsbehandlung oder Gesunderhaltung die effektivsten und effizientesten Möglichkeiten (unter den Gesichtspunkten „gesicherte Qualität", „Wirksamkeitsnachweis" und „bekannte, aber geringe Risiken") herauszusuchen.

Sexualität hängt aber nicht nur von den handelnden Personen ab, sondern von dem familiären, sozialen, kulturellen und gesellschaftlichen Kontext, in dem sich Jugendliche befinden. Ein Jugendlicher kann sein Verhalten nur in engen Grenzen selbst bestimmen und es alleine nicht immer ändern. Mit dem Eingehen oder dem Erleiden sexueller Risiken sind spezifische Faktoren verbunden:

Häufig ist Verhalten mit sehr hohen sexuellen Risiken auch mit einer negativen Grundeinstellung zur persönlichen Umwelt assoziiert (Gier, Haß, Neid, Nihilismus, Narzißmus o.a.). Risikoarmes Verhalten bei Jugendlichen ist dem gegenüber oft abhängig von

Wesentliches Ziel von Aufklärungsmaßnahmen ist es deshalb, die Erfahrungs- und Beziehungsfähigkeit der Jugendlichen zu fördern, sie zu unterstützen, ihren eigenen Weg zu einer lustvollen und risikoarmen Sexualität zu finden. Statt auf Infektionsangst in der Aufklärung zu bauen, sollten Optimismus, Verantwortungsgefühl, Fähigkeit zur stabilen Partnerbindung, Verständnis für andere. Vertrauen, Offenheit, Wohlbefinden, Ruhe, Gelassenheit oder allgemein der Spaß am Leben gefördert werden. Die Stärkung des Selbstwertgefühls derjenigen Betroffenen, die sich als Sexualpartnerinnen oder -partner in einer schwächeren, verletzlicheren Position befinden könnten, muß ebenfalls immer ein Schwerpunkt aller Aufklärungsbemühungen sein. Oftmals ist es der männliche Partner, der sich gegen die Verwendung von Verhütungsmitteln ausspricht. Jungen sollten besonders in einem Alter unterrichtet werden, in dem ihre Einstellungen und ihr Verhalten noch nicht gefestigt sind. Achtung vor dem Mädchen, das Gefühl, Verantwortung für seine Zukunft zu tragen, und das Bewußtsein, für die eigenen Handlungen verantwortlich zu sein, sind daher ebenfalls wichtige Ziele.

Der Umgang mit dem Thema Sexualität bei Jugendlichen erfordert eine große Beratungs- und Kommunikationskompetenz und die Fähigkeit, eigene Klischeevorstellungen und Vorurteile zu Jugendlichen und zur Sexualität zu überprüfen. Es ist nicht immer einfach, bewertungsfrei und ohne Herablassung zu beraten, Jugendliche wirklich ernst zu nehmen und fachgerecht auf ihre Bedürfnisse einzugehen.

Bildquelle: Kottmeier

Sexualerziehung ist Teil des Lehrplanes in Schulen. Die Lehrtätigkeit übernehmen meist Lehrer, seltener speziell ausgebildete Sexualerzieher. Durch den Schulunterricht kann leicht der kognitive Aspekt der Sexualerziehung reflektiert werden. Wissen kann eine Voraussetzung für eine bestimmte Handlung sein, reicht jedoch im Allgemeinen nicht aus, um eine Verhaltensänderung zu bewirken. Schwieriger ist es, die affektive Komponente der Sexualerziehung in Schulen abzudecken, da sie in Beziehung zur Haltung des Lehrers und seinen Rollenerwartungen steht und durch politische Faktoren beeinflußt wird. Die praktizierten sexuellen Verhaltensaspekte bei Jugendlichen sind häufig noch kontroverser und daher meist nicht Bestandteil der schulischen Sexualerziehung.

Der oft intensivste Teil der schulischen Sexualerziehung läuft im Oberschulalter ab. Aber gerade bei Jugendlichen, die in sozial benachteiligten Familien leben, ist das Risiko ungewollter Schwangerschaften und sexuell übertragbarer Krankheiten relativ hoch. Für diese Jugendlichen ist die außerschulische Sexualerziehung von größter Bedeutung. Dazu gehören Aufklärungsaktivitäten in Jugendklubs, Gemeindezentren, Sportvereinen, religiösen Einrichtungen, Berufsbildungseinrichtungen und Freizeitzentren.

Gute außerschulische Sexualerziehung ist ein besonders geeigneter Bereich für den Einsatz von „Peers" in erzieherischer Funktion. „Peer educators" sind gleichaltrige Jugendliche und kommen auch aus dem gleichen sozialen Umfeld und Interessengebiet. Der Vorteil liegt darin, daß der „peer educator" und seine Zielgruppe dieselbe Sprache sprechen und über ähnliche Lebenserfahrungen verfügen, was insbesondere in einem so sensiblen Bereich von Bedeutung ist. Die aktive Beteiligung von „Peers" und den Jugendlichen selbst in allen Phasen von der Planung bis zur Realisierung und Auswertung wird als bedeutungsvoll für den Erfolg eines Programms der Sexualaufklärung von Jugendlichen angesehen. Die Einbeziehung der Jugend auf kommunaler Ebene ist bereits vielfach erfolgreich praktiziert worden.

Bildquelle: Kottmeier

Die Beschäftigung mit Sexualität bei Jugendlichen muß den sozialen Kontext einbeziehen. Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, daß sich das Sexualverhalten von Jugendlichen, die sich ihrer grundlegenden Rechte auf Ausbildung, Arbeit, Zukunftsaussichten und Achtung beraubt sehen, in einem Umfeld voller Haß und Gewalt entwickelt. Ihr Überlebenskampf ist im Extremfall möglicherweise durch extremistische Jugendbanden, Prostitution, Diebstahl und Drogenmißbrauch gekennzeichnet. Für sozial benachteiligte Jugendliche sind daher besondere Anstrengungen erforderlich. Voraussetzung für die Schaffung fairer Entwicklungschancen ist die Möglichkeit, eine produktive Tätigkeit aufzunehmen und sich ein Einkornmen zu verschaffen. Auf Einzelschwerpunkte konzentrierte Aktionen, die lediglich Sexualerziehung und Empfängnisverhütungsmittel anbieten, lassen außer acht, daß sich ohne die Befriedigung der menschlichen Grundbedürfnisse kein verantwortungsbewußtes Sexualverhalten entwickeln kann.

Verhütungs- und Sexualberatungsstellen für Jugendliche im Rahmen des bestehenden Gesundheitswesens oder aber als spezielle .Jugend-Gesundheitsberatung" in Jugendzentren o.a. bieten ein besonders geeignetes Umfeld, wenn junge Menschen gern dorthin gehen und die Öffnungszeiten den Bedürfnissen der Jugendlichen entsprechen. Kinderärzte fühlen sich in der Regel nicht mehr für Jugendliche zuständig, und der Anspruch der Gynäkologen, Hausarzt junger Mädchen zu sein, ist überzogen. Jugendliche brauchen Personen, die ihnen z.B. demonstrieren können, wie ein Scheidendiaphragma funktioniert. Da für Jugendliche gelegentlicher Sex mit wechselnden Partnern typisch ist, benötigen sie eine kombinierte STD- und Schwangerschaftsverhütungsberatung. Medizinisch sollte eine diskrete und vertrauliche Jugend-Gesundheitsberatung ggf. einfache Untersuchungen, die Behandlung von STDs anbieten können und ansonsten an Einrichtungen oder Ärzte verweisen, die Schwangerschaftsabbrüche vornehmen und ggf. eine vor- und nachgeburtliche Betreuung anbieten.

Der skizzierte integrierte Gesundheitsförderungsansatz entspricht dem Konzept der Bundeszentrale für Gesundheitliche Aufklärung (BZgA, 1994) und wird in Hamburg unter dem Programmtitel „Jugend und AIDS" angestrebt. Realisiert wird dieser Konzeptansatz z.B. in Wien mit der dortigen Sexualberatungsstelle für Jugendliche „First love", die sich Sexualerziehung als soziales Lernen im Umgang mit dem anderen Geschlecht zum Ziel setzt. Laut Wiener Gesundheitsberichterstattung soll diese Beratungsstelle einen wesentlichen Beitrag zum Rückgang der Teenagerschwangerschaften in Wien geleistet haben.

Fazit

Die Verbesserung der sexuellen Gesundheit Jugendlicher erfordert ein den Gesundheitssektor übergreifendes Netzwerk. Eine Vielzahl von Institutionen und kommunalen Selbsthilfeinitiativen engagiert sich für die Förderung der sexuellen Gesundheit unter Jugendlichen. Der Öffentliche Gesundheitsdienst kann neben den hier beschriebenen notwendigen Eigenaktivitäten eine kompetente Moderationsrolle in einem Netzwerk übernehmen und besonders erfolgversprechende Initiativen anderer Akteure gezielt fördern.

Literatur

  1. Altgeld T, Hofrichter P. Jung, arm und Krank - gesundheitliche Folgen sozialer Benachteiligung bei Kindern und Jugendlichen, Mabuse, 1998,118:59-62
  2. Amendt G. „Gefällt's dir, nimm's dir!". Interview, Der Spiegel, 1998.50:124-125
  3. Bell R. Homosexuell men and women, BMJ, 1999, 318: 452-455
  4. Butcher J. Sexual problems 1: Loss of desire - what about the fun?, BMJ, 1999,318:41-43
  5. BzgA. Jugendsexualität 1998, Endergebnisse einer Wiederholungsbefragung von 14-17jährigen und ihren Eltern, Köln, November 1998
  6. BzgA. Rahmenkonzept zur Sexualaufklärung für gesundheitliche Aufklärung in Abstimmung mit den Bundesländern, Köln 1994
  7. Hoepner-Stamos F, Palentien C, Settertobulte W, Hurrelmann K. Der Zugang zum ambulanten medizinischen Versorgungssystem und Möglichkeiten zu seiner Verbesserung, Z.f. Gesundheits-wiss., 1997, H.l: 42-55
  8. Hurrelmann K, Klocke A. Armut und Gesundheitsgefährdung im Kindes- und Jugendalter. Pro Jugend 1997,2: 4-9
  9. McKee M. Sex an drugs and rock and roll - Britain can learn les-sons from Europe an the health of adolescents, BMJ, 1999, 318: 1300-1301
  10.  Selby M. How to drive away teenagers, BMJ, 1999, 318: 1323

 

Gesundheitsversorgung in der Prostitution
 

Helmut Jäger, Prävention 1999 (2): 43-45

Zusammenfassung: „Gesundheitsförderung in der Prostitution" und „Vorbeugung vor sexuell übertragbarer Erkrankungen (sexually transmitted diseases. STD)" werden häufig synonym verwandt. Eine erregerbezogene Präventionsstrategie ist aber nur dann effektiv, wenn alle für die Dynamik der Infektionsübertragung relevanten Zielgruppen wirksam erreicht werden. Sexuell übertragbare Erkrankungen sind nicht auf die Prostitution beschränkt, sondern ein Gesundheitsproblem der Allgemeinbevölkerung. Für bestimmte Gruppen im Bereich kommerzieller Sexualität ist dagegen die Qualität der allgemeinen Gesundheitversorgung mangelhaft. Oft stehen bei ihnen psychische und körperliche Folgen sozialer und rechtlicher Notsituationen, Traumatisierungen, Folgen von sexuellem Mißbrauch oder Vergewaltigung, psychosomatische Erkrankungen. Ernährungsstörungen, Substanzmißbrauch oder Suchtkrankheit wesentlich stärker im Vordergrund als Infektionen. Wirksame STD-Prävention muß insbesondere eingebettet werden in eine integrierte Förderung selbstverantwortlicher Sexualität bei Jugendlichen. Angebote im Rahmen der kommerziellen Sexualität sollten dagegen die Opfer sozialer Notlage. Abhängigkeit. Gewalt und Menschenhandel schützen und stärken, und damit indirekt mithelfen, die Position der Verursacher von Kriminalität und Mißbrauch zu schwächen.
 

Summary The concepts of health promotion in the commercial sex industry and prevention of sexually transmitted infections are often used synonymously. Nevertheless, prevention of infectious diseases can only be effective, if all relevant population groups involved in the transmission process are targeted and reached competently. Sexually transmitted infections are not a problem restricted to commercial sex, but frequently cause diseases in the general population. On the other hand, people involved in commercial sex often only have access to low quality general health care in every respect. Often, the psychical and somatic consequences of social traumatisation, sexual abuse or rape, nutrition-related ailments, drug-dependence and addiction are far more important than the threat of infectious diseases. In order to be sustainable, STD-prevention should be an integral part of health promotion among young people, leading to self-confidence, maturity and self-management of a satisfying and thus healthy sexual behaviour. On the contrary, the offering of Services for target groups involved in commercial sex, should concentrate on the strengthening of the Position of victims of social need, dependence, violence and modern "slave trade" and thereby indirectly weaken the influence of certain criminals.

Prävention oder Gesundheitsförderung?

„Gesundheitsförderung in der Prostitution" und „Vorbeugung vor sexuell übertragbarer Erkrankungen (STD-Prävention" werden häufig unbewußt, manchmal auch bewußt, miteinander vermischt. Die „Deutsche STD-Gesellschaft" forderte Ende Januar 1999 in einem Schreiben an das Bundes- und die Ländergesundheitsministerien den Erhalt der „STD-Beratungsstellen" im Öffentlichen Gesundheitsdienst, da ein flächendeckender Infektionsschutz gesichert werden müsse'. Die zur Zeit existierenden „STD-Beratungsstellen" beschäftigen sich aber überwiegend mit einer relativ kleinen Zielgruppe, den Prostitutierten und ihren Kunden. Die Effektivität ihrer Beratungs-(oder oft auch noch Kontroll-) Tätigkeit ist hinsichtlich der Senkung der Inzidenz von Infektionskrankheiten in Deutschland bisher nicht belegt.
Die Grundlage erregerbezogenen, „seuchenrechtlichen" Handelns wird durch die für das kommende Jahr erwartete Verabschiedung des Infektionsschutzgesetzes (IfSG)2 verändert werden. Der § 19 des neuen IfSG wird nicht zwischen der HIV-Infektion und anderen sexuell übertragbaren Erkrankungen unterscheiden und schafft eine Basis für spezifische Vorbeugungs- und Aufklärungsmaßnahmen des Öffentlichen Gesundheitsdienstes bei allen Bevölkerungsgruppen. Damit würde theoretisch die gesetzliche Grundlage für Beratungsstellen, die sich überwiegend auf Prostituierte zu konzentrieren, entfallen. Es sei denn, Betreuungsangebote im Bereich kommerzieller Sexualität würden auch weiterhin als „STD-Präventionsprogramme" deklariert oder sollen als Ersatz für Maßnahmen einer bevölkerungsbezogenen Präventionsstrategie dienen.
STD- oder HIV-Beratungsangebote werden überwiegend deshalb finanziert, weil durch Betreuung, Information, Beratung oder stellenweise auch Überwachung begrenzter Personengruppen Infektionsgefahren von der Bevölkerung abgewendet werden sollen. Die Betroffenen aus diesen sogenannten „Hochrisikogruppen" sind dabei im Zwiespalt. Einerseits wollen und müssen sie sich gegen Diskriminierung wehren. Selbsthilfegruppen betonen daher zurecht die auch in der Allgemeinbevölkerung bestehenden Risiken, relativieren meist ebenso berechtigt die Risiken in der eigenen Gruppe und verweisen auf die erforderliche Einbettung erregerspezifischer Aufklärung in die Zusammenhänge von Sexualität und psychosozialer Situation3. Andererseits führt bei ihnen der Wunsch nach gruppenspezifischer, öffentlicher Förderung oft zu einer Überstrapazie-rung von AIDS- oder STD-Angst, um die öffentliche Finanzierung für sich auch weiterhin zu sichern.
Prävention sexuell übertragbarer Infektionen in der Prostitution
Die Prävention sexuell übertragbarer Infektionen ist der klassische gesundheitspolitische Ansatz in der Prostitution, der den unbestreitbaren Vorteil bietet, daß auf „Hochrisikogruppen" bezogene Präventionsstrategien den Überzeugungen der meisten Entscheidungsträger entgegenkommen und wegen der relativ kleinen Bevölkerungsgruppen auch kostengünstig erscheinen. Mittel werden hierfür auch künftig, wenn auch eventuell in geringerem Umfang, zu erhalten sein.
Allerdings kann eine auf STD-Erreger bezogene Präventionsstrategie (Beispiel: Zurückdrängung der Hepatitis B in Deutschland) nur dann effektiv wirken, wenn alle für die Dynamik der Infektionsübertragung relevanten Zielgruppen wirksam erreicht werden; im genannten Beispiel, wenn die Mehrzahl der Jugendlichen gegen Hepatitis B geimpft ist. STD sind nicht auf die Prostitution beschränkt, sondern ein Gesundheitsproblem der Allgemeinbevölkerung15. Häufig sind gerade „Risikogruppen" betroffen, die nichts mit der Prostitution zu tun haben, wie u.a. Ecstasy-Konsumenten, Personen in Massenunterkünften, Suchtkranke oder Personen der Normalbevölkerung, deren Sexualverhalten vom Üblichen abweicht6. Eine entscheidende Zielgruppe für Gesundheitsförderung sind Jugendliche7-9. Da das Erlernen und die Einprägung sicherer Verhaltensweisen am wirksamsten vor und bei der Aufnahme von ersten Sexualkontakten erfolgt, muß gerade bei Jugendlichen STD-Prävention10 integriert werden in Maßnahmen zur Stärkung ihres Selbstvertrauens und ihrer Selbststeuerungsfähigkeit.
Neben einer breiten Förderung integrierter Sexualaufklärung bei Jugendlichen können Maßnahmen der STD-Prävention sinnvoll sein bei der Beeinflussung gesellschaftlicher, wirtschaftlicher und kultureller Zusammenhänge, die zu erhöhten sexuellen Risiken führen sowie bei der Sicherstellung aufsuchender Diagnostik- und Therapieangebote für die Bevölkerungsgruppen, die von niedergelassenen Ärzten nicht erreicht werden11,12. Die Beschränkung auf eine einzige Zielgruppe („Kommerzielle Sexualität") kann eine Ausbreitung von STD-Erregern in der Bevölkerung auf Dauer nicht wesentlich beeinflussen.


Zudem ist in der Prostitution, aber auch bei den meisten anderen Zielgruppen, Aufklärung über sexuell übertragbare Infektionen als reine Wissensvermittlung immer seltener erforderlich. Wie ein Kondom aussieht, und daß es das Übertragungsrisiko unangenehmer Infektionen senkt, ist meist bekannt. Es besteht eher Informationsüberflutung, als Informationsmangel. Allerdings sind viele Informationen in den Medien unvollständig, irreführend oder sogar falsch. Die Verhaltensbotschaften, die Personen aus ihrem eigenen gesellschaftlichen Umfeld erreichen, sind sehr häufig widersprüchlich. Während einerseits Menschen an jedem Kiosk mit Sexualität konfrontiert werden, haben sie oft wenig oder keine Gelegenheit, ihre sehr persönlichen Fragen, unterdrückten Ängste und Unsicherheiten mit fachlich-qualifizierten und verständnisvollen Personen offen zu besprechen.

Die Reduzierung von STD-Prävention in der Prostitution auf eine „Sexualaufklärung", die zu „Safer Sex" führen soll, ist auch deshalb zu kurz gegriffen, weil Sexualität nicht nur von den handelnden Personen abhängt, sondern von dem sozialen, familiären, kulturellen und gesellschaftlichen Gesamtzusammenhang. Verhalten kann nur in engen Grenzen von einem Individuum selbst bestimmt und alleinverantwortlich verändert werden. Mit dem Eingehen oder dem Erleiden sexueller Risiken sind spezifische Faktoren verbunden:

Risikoarmes Verhalten ist demgegenüber oft abhängig von

Hinsichtlich der Infektionsübertragung stellen in der Prostitution zudem Käufer und Verkäufer sexueller Dienstleistungen gleichermaßen ein potentielles Gefahrenpersonal füreinander dar (im Gegensatz zu anderen gewerblichen Kontakten, wie z.B. bei dem Verkauf von Lebensmitteln). Gesundheitsrisiken gehen in der Regel von denen aus, die als Konsument oder Arbeitgeber Sex ohne Kondome verlangen. Personen, die in der Prostitution häufiger von Infektionen betroffen sind, können meist nicht über die Ausgestaltung ihres Arbeitsplatzes entscheiden oder sind durch ihre Suchtkrankheit dazu nicht in der Lage.
Nachhaltige Präventions-Maßnahmen zur Senkung sexueller Infektionsrisiken in der Prostitution wirken daher nicht durch „Aufklärung", sondern durch die Stärkung des Selbstwertgefühls derjenigen Betroffenen, die sich als Sexualpartnerinnen oder -partner in einer schwächeren, verletzlicheren Position befinden könnten.
 

Gesundheitsförderung im Rahmen kommerzieller Sexualität

Bei Gesundheitsförderung in der Prostitution stehen im Gegensatz zu Präventionsmaßnahmen weniger Infektionserreger, als die Zielgruppe selbst im Zentrum des Interesses. Diese eher ganzheitliche Wahrnehmung entspricht der Sicht von Selbsthilfeinitiativen, hat aber einen unbestreitbaren Nachteil: Die Risiken für die Allgemeinbevölkerung, die entstehen würden, wenn keine zielgruppenspezifische Förderung erfolgte, sind bei oberflächlicher Betrachtung nicht sofort ersichtlich. Die gesellschaftlichen Vorteile eines solchen Vorgehens wurden bisher in Deutschland nicht wissenschaftlich untersucht. In Zeiten knappen Geldes sind hierfür öffentliche Förderungen nicht, oder z.Z. noch nicht, einfach zu erhalten. Allerdings begründet eine Ar-
beitsgruppe der EU13 die Notwendigkeit von intensiven Fördermaßnahmen in diesem Bereich mit der Verpflichtung zum Schutz der Opfer von sozialer Not, Abhängigkeit, Gewalt und Menschenhandel, um damit auch indirekt die Verursacher von Gewalt, Kriminalität und Mißbrauch zu treffen. Eine Förderung der Selbstachtung und des Selbstwertgefühls und damit die Stärkung der Position von abhängigen Menschen in der Prostitution gegenüber Personen, die sie dominieren oder ausbeuten, könnte der international-organisierten Kriminalität entgegenwirken und wäre daher von direktem öffentlichen Interesse.
Während bei der zuvor geschilderten erregerspezifischen Prävention die unterschiedlichsten Zielgruppen angesprochen werden müssen, wenn ein Projekt effektiv die Erregerausbreitung hemmen soll, erfordert ein zielgruppenbezogenes Vorgehen der Gesundheitsförderung die Wahrnehmung aller wesentlichen gesundheitsrelevanten, psychischen, sozialen und körperlichen Probleme dieser spezifischen Bevölkerungsgruppe. In der Prostitution besteht je nach sozialer Gruppenzugehörigkeit eine Vielzahl von völlig unterschiedlichen Gesundheitsrisiken. Ein Stricher, der als Kind mißbraucht wurde oder eine heroinabhängige Jugendliche, die sich aus Beschaffungsdruck prostituiert, haben wenig gemeinsam mit einer langjährig etablierten professionell-tätigen Frau, und eine ältere, verarmte Frau am Straßenstrich nichts mit einer Studentin, die sich durch Gelegenheitssex gegen Geld etwas dazu verdient. Oft stehen im Zusammenhang mit Gesundheit soziale und rechtliche Probleme im Vordergrund. Infektionen sind ein eher kleines Gesundheitsproblem unter vielen anderen.
Bevor eine umfassende Gesundheitsförderung in der Prostitution wirksam werden könnte, ist die Änderung der bestehenden gesetzlichen Regelungen erforderlich. Dazu besteht weitgehendes Einvernehmen zwischen den im Bundestag vertretenen Parteien. Unterschiedlich gesehen wird lediglich die Form der künftigen gesetzlichen Bestimmungen, hinsichtlich der legalen vertraglichen Gestaltung zwischen Dienstleistungserbringer, Konsument und Arbeitgeber. Die Gesetzesentwürfe der Bundestagsfraktionen von Bündnis 90 / Die Grünen und SPD zur Klärung des Rechtsstatus in der Prostitution14 enthalten allerdings bisher keinen Gesundheitsaspekt, der einen durch öffentliche Mittel geförderten, „betriebsgesundheitlichen Dienst in der Prostitution" begründen könnte. Warum auch sollte sich der Staat um die speziellen spezifischen Krankheitsrisiken einer
Berufsgruppe kümmern? Im Falle einer klaren Rechtssicherheit könnten gesundheitliche Serviceleistungen von Institutionen, Arbeitgebern oder Selbsthilfeorganisationen durch Auftragsvergabe oder auch durch eigene Beratungsstellen der Betroffenen sichergestellt werden. Einzelne Personen können ohnehin den Arzt frei wählen. Im Rahmen von Qualitätssicherung könnte der Staat höchstens, wie bei anderen Berufen auch, überwachen, ob Serviceangebote vorgehalten und wahrgenommen werden.
Eine eher kleine Gruppe von professionell tätigen Personen in der Prostitution sind in der Tat fachärztlich ausreichend versorgt und benötigen keine ergänzenden, staatlichen Unterstützungsangebote. Andererseits ist die Qualität der allgemeinen Gesundheitsversorgung bei bestimmten Gruppen von weiblichen, männlichen und transsexuellen Prostituierten ausgesprochen schlecht. Dazu zählen u.a. Migrantinnen15, Suchtkranke, mißbrauchte Kinder und Jugendliche, ältere Menschen, Wohnungslose u.v.a. Oft stehen bei ihnen psychische und körperliche Folgen von Armut, Traumatisierungen, sexuellem Mißbrauch oder Vergewaltigung, psychosomatischen oder allgemeinen Erkrankungen, Ernährungsstörungen, Alkohol-Nikotin-Kaffee-Tablettenmißbrauch oder schwere Suchtkrankheit viel stärker im Vordergrund als Infektionen. Es ist allerdings bisher zu wenig untersucht, welche zielgruppenbezogenen Bedarfe für eine gesundheitliche Förderung von diesen Personen selbst gesehen werden. Denkbar sind z.B. kulturelle Vermittlung gegenüber den Ärzten, Unterstützung bei sozialen und Rechtsfragen, Wegweiser im Gesundheitssystem u.a. durch kultur- und sprachkompetente Vermittlerinnen, individuelle soziale, aufsuchende und betreuende Gesundheitsförderung, Sofort-Behandlungen, usw.
Grundsätzlich ist gesundheitliche Förderung gut aufgehoben bei einer etablierten Selbsthilfeinitiative, die ihre Zielgruppennähe und Effektivität bereits unter Beweis gestellt hat. Eine eigene staatliche Initiative, wie eine Beratungsstelle oder ein gezieltes Interventionsprojekt, ist jedoch dann gerechtfertigt, wenn die Zielgruppe nicht von anderen, z.B. von niedergelassenen Ärzten versorgt werden kann oder noch zu schwach zur Selbstorganisation ist. Aber auch in diesem Fall ist die Einbeziehung von Personen der Zielgruppe in die Planung, Steuerung und Durchführung der Maßnahmen eine entscheidende Vorbedingung für den Projekterfolg.

Die Sicherung eines einheitlichen Qualitätsstandards der gesundheitlichen Basisversorgung für alle in Deutschland lebenden Personen, unabhängig von ihrem sozialen oder Aufenthaltsstatus, ist eine wichtige und zunehmend wichtiger werdende gesellschaftliche Aufgabe, der die Schaffung oder Erhaltung integrierter Betreuungsangebote für spezifische Zielgruppen wirksam dienen kann. Die Fixierung solcher Angebote auf sexuell übertragbare Erkrankungen, um die Förderungen im Rahmen des Infektionsschutzgesetzes zu erhalten, dient jedoch weder einer effektiven Präventionsarbeit noch einer gruppenbezogenen Gesundheitsförderung.
 

Literatur:

  1.  Resolution der deutschen STD-Gesellschaft zur zukünftigen Tätigkeit der STD-Beratungsstellen der Gesundheitsämter, verabschiedet auf ihrer Tagung am 18. und 19.1.1999 in Stuttgart (Text beim Verfasser)
  2. Das Infektionsschutzgesetz liegt z.Z. als fertiger, sogenannter „Referentenentwurf" vor und soll in dieser Legislaturperiode das Bundesseuchengesetz und das Geschlechtskrankheitengesetz ersetzen.
  3. Prostituiertenprojekt Hydra (Hrsg): Beruf Hure, Galgenberg Verlag, Hamburg 1989
  4. Koch J., Kirscher W., Schäfer A.: Bestimmung der Prävalenz genitaler HPV- und Chlamydia-trachomatis-lnfektionen in einem repräsentativen Querschnitt der weiblichen Normalbevölkerung in Berlin, RKI-lnfoll/1997: 1-7
  5. Burstein G.R., Gaydos C.A., Diener-West M., Howell M.R.. Zenilman J.M., Ouinn T.C.: Incident chlamydia trachomatis Infections among inner-city adolescent females, JAMA, 1998. 280:521-526
  6. Bell R.: Homosexuell men and women, BMJ, 1999, 318:452-455
  7. Hurrelmann K.: Eine prekäre Balance - Zur gesundheitlichen Situation der jungen Generation, psychomed 8/4 (1996), 196-202
  8. Schulenberg J., Maggs J.L., Hurrelmann K: Health Risks and Developmental Transitions During Adolescence, Cambridge University Press, 1997
  9. Sexualität und Verhütung - Erste Ergebnisse der Repräsentativstudie „Jugendsexualität 1998", BZGA Forum Sexualaufklärung 3-1998,22-27
  10. Orr D.: Screening Adolescents for Sexually Transmitted Infections. JAMA, 1998. 280: 564-565
  11. 1998 Guidelines for treatment of Sexually Transmitted Diseases, MMWR 1998, Vol 47, No. RR-1
  12. Grosskurth H, Mosha F. Todd J et.al.: Impact of improved treatment of sexually transmitted diseases on HIV infection in rural Tanzania: randomised controlled trial, The Lancet, 1995, 346:530-535
  13. EU-Drucksachen AE 990461 und 970130: Menschenhandel, Frauenhandel, Prostitution, organisierte Kriminalität, 10.2.1999
  14. Entwurf eines Gesetzes zur Beseitigung der rechtlichen Diskriminierung von Prosti-tutierten - Bundestags-Drucksachen 13/6372-26.11.96, 13/774- 16.4.97 und 13/8049 - 13.6.97, Wortprotokoll (13/78 bzw. 13/107) der öffentlichen Anhörung (78. Sitzung des Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend; 107.Sitzung des Rechtsausschusses) am 14.01.1998 (Vorsitz: Abg. Dr. E. Niehus)
  15. Gery Y: Women for sale - the dark side of Europe, Le Monde diplomatique (English edition), Feb. '99, page 12

 

RMZ, 19.10.2012



Drucken

Zur Website www.gesundes-reisen.de