Fachinformationen - Impfungen in der Schwangerschaft
Grundsätzliche Erwägungen unabhängig von Impfungen
Eine wissenschaftlich belegbare Nutzen-Risiko-Abwägung ist bei Substanzen, die in der Schwangerschaft verabreicht werden, prinzipiell nicht möglich. Niemand kann bei Gesundheitsproblemen eines heranwachsenden Kindes (Entwicklungsverzögerung, Verhaltensauffälligkeit) beweisen, dass die in der Schwangerschaft zugeführte Substanz das Problem nicht mit-verursacht hat.
Daher kennen Gynäkologen keinen Grenzwert für Alkoholkonsum in der Schwangerschaft und empfehlen:
Aber ist bewiesen, dass ein Glas Rotwein tatsächlich (viel?) Schaden anrichten würde? Nein!
Natürlich könnte auch jemand, der ein bißchen Alkohol in der Schwangerschaft für harmlos hält, an ein "geringes Schadensrisiko" glauben. Ein Glaube wiederum ist weder beweis- noch widerlegbar. Streitereien in Glaubensangelegenheiten, z.B. über Grenzwerte des Alkoholkonsums in der Schwangerschaft, sind unergiebig. Wissenschaft ist aber mehr als Glaube: u.a. auch kritisches (Hinter-) Fragen und die Suche nach Antworten durch kontrollierte Experimente. Wenn solche Experimente aus ethischen Gründen ausgeschlossen sind (z.B. kontrollierte Alkoholkonsumstudie in der Schwangerschaft), bleibt bei wissenschaftlichen Empfehlungen, nur die ehrliche Darstellung des Nicht-Wissens und daraus abgeleitet die altbewährte Konsequenz ärztlichen Handelns: "Primum nihil (non, nil) nocere!", also erste ärztliche Pflicht ist, dem Patienten (auch durch die ausgesprochenen Empfehlungen) keinen Schaden zufügen, hier also eindeutig: "Kein Alkohol!".
Statistischer Aspekt bei Impfungen in der Schwangerschaft
Auch außerhalb der Schwangerschaft sind Impfstoffe nicht "gänzlich unbedenklich", weil sie eben wirksam sind, und daher per Definition Nebenwirkungen haben müssen. Bei Gelbfieber liegt das Risiko schwerer Nebenwirkungen der Impfungen z.Z. weltweit bei 1:200.000. Da Leberversagen in der Schwangerschaft (sog. HELLP-Syndrom) zunimmt, könnte das Risiko eines Organbefalls durch Impfviren, bei Schwangeren deutlich höher liegen, aber Untersuchungen wird es dazu nicht geben. Und fehlende Daten lassen nicht den Umkehrschluß zu, dass kein Zusammenhang oder kein erhöhtes Risiko bestehe.
Ob also eine Maßnahme empfohlen werden sollte oder nicht, sollte nicht nur von Expertenmeinung, sondern auch von harten Daten abhängen:
- Risiko einer Infektion
- Risiko ernster Krankheitsfolgen (Behinderungen, Sterblichkeitsrate) nach Infektion - das ist es, was Impfungen verhindern sollen.
- Number needed to vaccinate (Anzahl der zu Impfenden für die Verhinderung eines Falles ernster Krankheitsfolgen)
- Number needed to harm (Anzahl der Geimpften pro Auftreten einer ernsten Schädigung)
- Kurzfristige Folgen (Fruchttod) sind im Prinzip leicht durch Beobachtungen aufgetretener Nebenwirkungen erfassbar (sofern Ursache-Wirkungsbeziehungen eindeutig zu sein scheinen)
- Langfristige Folgen (u.a. bzgl. Hirn- und Immunsystementwicklung s.u.) sind sehr schwer oder nicht erfassbar, da mit der Zeit viele Faktoren in komplexen Wirkgefügen eine Rolle spielen.
Solche Daten, bezogen auf Schwangere sind nicht bekannt.
Wir besitzen z.B Daten zur Japan Enzephalitis bei einheimischen Kindern und können daraus und aus Meldezahlen das Risiko für Südostasienreinde ungefähr auf 1:10 Millionen schätzen. Das Risiko der Impfung ist unbekannt (weil vermutlich sehr klein) aber dürfte wie üblich im Falle schwerer neurologischer Nebenwirkungen von Impfungen bei 1:1 Million liegen, für gesunde Reisende, die nicht schwanger sind. Ob ein Risiko "klein" (GF-Impf.-Nebenwirkungen 1:200.000) oder "groß" (Japan Enz. Erkrankungs.- Risiko 1:1 Mill.) genannt wird, ist subjektive Bewertung je nach Gefühl, Vermutung, Glaube, Interesse, Konsens, Meinung ... . Medizin definiert sich aber als Wissenschaft und braucht deshalb auch die Mathematik zur rationalen Einschätzung von Risiken.
Hirnforschung
- Die Grobstrukturierung des Gehirns vollzieht sich etwa bis zur achten Schwangerschaftswoche. Schädigungen vor diesem Zeitraum bewirken schwerste Funktionsstörungen oder den Fruchttod.
- Im 2. und 3. Schwangerschafts-Drittel können bei Belastungen der Mutter (insb. Stress) die Funktionen genetischer Strukturen verändert werden (sog. Methylierung). Diese Zusammenhänge werden in dem relativ neuen Feld der Epigenetik untersucht.
- Im letzten Schwangerschafts-Drittel findet ein extrem sensibler Prozess der Hirngestaltung statt: die Faltung von der glatten Mandarinenstruktur zur Walnussstruktur des reifen Hirns. Störungen des Faltungsprozesses sind ungenügend oder gar nicht erforscht. Sie werden vielleicht eher nicht grobe Störungen (wie Autismus) bewirken, sondern könnten ggf. die Koordination von Hirnarealen oder Funktionen betreffen. Das Hirn wird in den ersten Lebensjahren ständig "umstrukturiert", und diese sog. Plastizität des Hirns könnte bei Störungen der Faltung beeinträchtigt werden. Studien dazu gibt es nicht. Ob also Verhaltensauffälligkeiten oder Lernverzögerungen mit solchen Prozessen zusammenhängen könnten oder nicht, kann derzeit niemand sagen.
- Die Hardware der Verkabelung des Hirns wird grob mit der Myelinisierung ("Ummantelung") der wichtigsten Nerven abgeschlossen. Die Myelinisierung beginnt etwa in der 24 Schwangerschaftwoche und hat sich drei Monate nach der Geburt einigermaßen stabilisiert. Dazwischen liegt ein Zeitfenster, in dem Schädigungen dieser Prozesses sehr leicht möglich sind und bleibende Folgen haben können. Solche Folgen machen sich oft erst Jahrzehnte später bemerkbar (u.a. bei Vit.D-Mangel und Multipler Sklerose). Einer der wichtigsten bei Geburt noch unmeyeliniserten Nerven ist der Vagus. Störungen der Vagusfunktion betreffen vor allem den Stoffwechsel und die Steuerung der Herzfunktion. Die Fähigkeit im späteren Leben sachgerecht mit Belastungen unterschiedlicher Art umgehen zu können, hängt entscheidend von der Vagusfunktion ab (also auch von der Myelinisierung seiner Fasern). Das ist möglicherweise einer der Gründe, warum in gefährdeten Familien früheste Unterstützung und Förderung bereits bei Schwangeren, direkt nach der Geburt und im Kleinstkindalter sich positiv auf die Entwicklung von Kindern auswirkt.
Welche Auswirkungen Impfungen der Mutter in den sensiblen Phasen der Hirnentwicklung des Kindes auf seine spätere Funktion des Gehirns haben, ist nicht erforscht.
Fazit
- Jede Reiseimpfung ist in der Schwangerschaft vermeidbar: Nicht hinfahren!
- Eine exakte Nutzen-Risiko-Abwägung ist in der Schwangerschaft nicht möglich.
- "Bauchempfehlungen in gutem Glauben" sind transparent zu vermitteln, damit die Schwangeren (bei fehlender Datenlage) selbst entscheiden können.
- Wir wissen von der Hirnentwicklung und der Entwicklung der Immunsteuerung noch sehr wenig.
- Impfempfehlungen in der Schwangerschaft berücksichtigen meist weder die aktuellen Erkenntnisse der Hirnforschung noch die weißen Flecken des Nicht-Wissens.
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HEF, 12.09.2018