Reiseinformationen - Bewegung: Atem-Harmonisierung
Atmung harmonisieren
In vielen Kulturen hat der Begriff Atmung nicht nur rein physiologische, sondern auch psychologische Aspekte. Die Griechen bezeichneten mit "Pneuma" die Fähigkeit zum Leben. Neben Wasser stellt Luft den elementarsten menschlichen Bedarf dar. Im Deutschen klingt diese Bedeutung im Begriff Odem nach, im chinesischen ist es Qi als Ausdruck für die Lebensenergie. Um Atmung zu verstehen, reicht es nicht sich vorzustellen, dass wir einen Beutel im Brustkorb besitzen, der sich vollplustert, wenn wir das Zwerchfell zusammenziehen, und dass das Blut sich aus den Alveolen den Sauerstoff holt. Ansteuerung und Kontrolle aller Zellen, die an der Atmung beteiligt sind, aber auch die Druckverhältnisse im Körper, sowohl hydraulischer als auch pneumatischer Art, wirken erheblich auf unsere Aktionsfähigkeit ein. All dies bestimmt auf verschiedene Art und Weise unser Tun und Handeln, es spiegelt sich in dem wieder, wie wir uns fühlen. Unser animalisches System als auch das Vegetativum sind mit der Atmung eng verknüpft. Wir können z.B. lachen oder weinen und das Atmen dabei völlig vergessen. Es funktioniert trotzdem. Die Atmung ist unmittelbar Spiegel des Gemüts und funktioniert, ob wir reden oder essen, schlafen oder willentlich Luft holen. Umgekehrt kann über die Atmung das Gemüt erreicht werden. Wir kennen die wohltuende Wirkung, einmal tief durchzuatmen. Die ganze Muskulatur des Rumpfes mit all ihren bewegungsspezifischen Aufgaben beteiligt sich an der Atmung und gibt ihr Platz und Raum. Sie kann jedoch auch einschränken. Festigkeit und Anspannung, bedingt durch die häufige Einseitigkeit des Alltags, schränkt den Atem ein. Das Atemzentrum liegt unmittelbar neben Hirnzentren, die die Stressreaktion dämpfen. Im Stress muss sich die Atmung schnell und hechelnd an effektive Flucht- oder Kampfreaktion anpassen, in Ruhe dürfen sich die Bronchien öffnen, Luft einströmen lassen, und bei jeder Ausatmung darf das Herz, wieder beruhigt, langsamer schlagen, und geistige und körperliche Funktionen beginnen sich wieder zu harmonisieren.
Atem, Bewegung, Bewusstsein
- Das Atemzentrum liegt rückenmarksnah im Stammhirn. Es ist u.a. reflexartig mit den Zentren des Vagusnerven verbunden, der dort seinen Ausgang nimmt und nahezu alle Körperorgane erreicht. Der vordere Anteil des Vagusnerven dämpft in der Ausatmung u.a. die Herzfunktion, sein hinterer Anteil wirkt beruhigend auf das Immunsystem.
- Normale Atmung läuft stammhirngesteurt, unbewusst ab. Bewusstsein erfordert höher gelegene Zentren des Mittelhirns und bestimmte Anteile des Großhirns, deren Impulse den Hirnstamm und die Muskulatur erst zeitverzögert erreichen. Wir können daher bewusst Atmung unterbrechen (z.B. vor dem Tauchen) oder ihr kurzfristige einen anderen Takt vorgeben („Langsam ausatmen!“), aber wir können den Atmenfluss langfristig nicht bewusst steuern. Wenn das Bewusstsein einen Befehl „Einatmen“ erteilt, ist der Impuls zum Ein- oder Ausatmen über das Stammhirn schon längst bei den Muskelfasern angekommen. Bewusst Atmung in einem Training kontrollieren zu wollen, führt deshalb zur Verkrampfung. Stattdessen kann Atmung bewusst beobachtet oder begleitet werden. Man kann der Atembewegung Raum geben, so wie einer Person, die auf eine Tür zustrebt, diese freundlich geöffnet werden kann.
- Bewegung gibt der Atmung die Taktung vor, und Atmung passt sich unbewusst geschmeidig an Bewegung an. Bewegungsprogramme werden seit der Geburt erlernt und in einem Bereich des Großhirn, in Mittelhirnanteilen und dem Kleinhirn gespeichert. Über eine Datenautobahn (Pyramidenbahn) rauschen solche Programme am Bewusstsein vorbei: ein Klavierspieler kann beobachten, was seine Finger da so Wundervolles tun, aber niemand in ihm steuert seine Finger bewusst: das wäre viel zu langsam. Ein ruhiger Fluss von Bewegung sorgt für eine fließende Atmung und umgekehrt. Wenn beides zueinander findet und das Bewusstsein nicht dazwischenfunkt, im Tanz, während des Laufens, beim Schwimmen, beim Singen, entsteht Flow: eine gelöste Verschmelzung mit dem Geschehen, das gerade abläuft.
- Atmung ist der Teil des autonomen Hintergrundnervensystems, der von bewussten, willkürlichen Bewegungen beeinflusst werden kann, weil die Muskulatur, die zur Atmung benötigt wird auch für andere Körperfunktionen eingesetzt werden kann.
- Atmung besteht aus
- Hineinströmen: passiv aufsaugen, Zwerchfell zieht sich zusammen, Bauch und Brust geben nach, ggf. modulieren oder willkürlich vertiefen
- Hinausströmen: passiv Blasebalg aufgedehnter Muskeln loslassen, das Zwerchfell entspannt. Die Willkürliche Vertiefung der Ausatmung ist eine erste erlernte Eigenbewegung eines Kindes im Mutterleib, das früh damit beginnt, in die Lunge hineingeflossenes Fruchtwasser wieder herauszudrücken.
- Rhythmus: ein gleichmäßiger Fluss des Wechselns zwischen Hinein- und Hinausausströmen
- Pause. Im Schreck oder als willkürliche Unterbrechung von zu schneller Atmung oder als Luftanhalten, um durch etwas hindurch zu tauchen. Die Chance der Pause liegt im Innehalten um sich auf einen neuen Rhythmus einzustellen, die Gefahr in der Stockung oder Verkrampfung.
Methoden der Atem-Harmonisierung
Die Harmonisierung der Atmung geschieht wirksam über einfache entspannende Bewegungen oder bei der Anwendung von Methoden zur geistigen Beruhigung:
- Die einfachste Methode zur Harmonisierung der Atmung ist es, sie zu vergessen und sich entspannt zu bewegen, zu dösen oder zu schlafen. Bei vielen sportlichen oder gymnastischen Übungen wird der kontrollierende Großhirnanteil vorübergehend nicht benötigt, weil die Bewegungen sehr schnell ablaufen, d.h. für eine bewusste Wahrnehmung viel zu schnell. Die Atmung muss sich diesen schnellen Trainingsbewegungen anpassen, vertieft sich durch den steigenden Sauerstoffverbrauch, man kommt aus der Puste, ist danach verschwitzt, erschöpft und atmet dann schließlich freier.
- Beispiel: Aerobic, Fitness- und Konditionstraining uva.
- Eine effektivere Atemharmonisierung wird erreicht, wenn die Bewegungen bewusst, dh. sehr langsam ablaufen dürfen. Dann nimmt das Körpergefühl zu, das Wahrnehmen der inneren Sinne (Propriozeption) und Bewegung und Wahrnehmung driften weg von Zielgedanken ("Fit werden, Muskel aufbauen", "Es dem Rücken zeigen") zu dem Erleben und Erfahren von sich selbst. Ohne an die Atmung zu denken, regelt sie sich automatisch auf diesen angenehmen Zustand ein.
- Beispiel: Feldenkrais, Jacobsen, Pilates, QiGong- und Yoga-Grundkurse uva.
- Methoden, die Atmung in Bewegung oder Ruhe direkter einbeziehen, beginnen damit, sie zu beobachten, während sie völlig unbeeinflusst fließt. Das ist nicht einfach, denn sobald das Bewusstsein Atmung wahrnimmt, beginnt „es“ zu korrigieren und zu beeinflussen, und schon entstehen Disharmonien zwischen unterschiedlichen Hirnaktivitäten, was sich muskulär als Verkrampfung äußert. Idealerweise schärft die Aufmerksamkeit für die Atmung die Selbstwahrnehmung und hilft Körper und Gemüt aufeinander einzuschwingen.
- Beispiel: autogenes Training, Entspannungsmeditationen, Suggestions und Hypnosemethoden
- Einige Methoden beziehen Atmung von Beginn an ein, ohne dies zu benennen, d.h. die Bewegungen werden so gestaltet, dass sie zu einer Harmonisierung von Wahrnehmung, Bewegung und begleitender Atmung verführen. Aufmerksamkeit, Bewegung und Atmung werden (nach einigem Training) scheinbar mühelos synchronisiert.
- Beispiele: QiGong (DaoYin YangSheng u.a.), Taiji (Yangform u.a.), Yoga (Hatha, Kundalini u.a.) uva.
- Die intensivere Beschäftigung mit der Atmung kann sehr wirksam eingesetzt werden zur Beeinflussung vieler Organfunktionen. Allerdings nur bei Personen, die erfahren und erlebt haben, wie geistige und körperliche Funktionen beruhigt werden können und sich dafür öffnen können.
- Beispiele: QiGong (stille Formen), Yoga (Pranayama), zahlreiche Meditationtechniken
Beispiele für Atem-Techniken, die in unterschiedlichen Methoden zur Anwendung kommen
- Wahrnehmung der Alltagsatmung:
- Den Fluss beobachten, die lockere, flache Zwerchfellbewegung wahrnehmen, Körpersensationen spüren und darauf lauschen, wie sich Einströmen und Herausfließen anfühlen.
- Die Atmung ist mühelos, unangestrengt und den Belastungen und Druckverhältnissen angepaßt
- Alltagsatmung mit leichter Belastung
- Einatmung: Widerstand erhöhen (Finger an die Nase, Zunge einrollen, …)
- Ausatmung: langsamer ausströmen lassen
- Bauchatmung
- Die Bauchwand macht dem Ein-Atem-Impuls Platz, z.B. nachdem der Gürtel gelöst wurde (Falsch und verkrampft: Bauch bewegt sich - Atmung folgt)
- Brustatmung
- Die Brust macht dem Ein-Atem-Impuls Platz, z.B. durch ein gelöst räkelndes Anheben der Arme (Falsch und verkrampft: Brust bewegt sich - Atmung folgt)
- Verstärkte oder vertiefte Bauch oder Brustatmung
- Rhythmus verlangsamen, größeres Luftvolumen strömen lassen
- Yoga-Atmung für Fortgeschrittene: Verdichten in tiefer Ausatmung
- QiGong-Atmung für Fortgeschrittene: Verdichten in Einatmung
Risiken und Gegenanzeigen aller Atemtechniken bei falscher Anwendung
- Zu schnelle Atmung
- Hyperventilation, Schwindel, Ohnmacht
- Verkrampfung
- Störung autonomer Hirnfunktionen und Organsteuerungen
- Muskuläre Krämpfe (Seitenstechen)
- Abhängigkeit
- von esoterischen Gedankengebäuden
Links
Weitere Artikel
HEF, MG, 23.05.2018